Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ist nach wie vor ein polarisierendes, wirtschaftliches, aber auch gesellschaftliches Thema – vor allem, wenn es um das Gehalt geht. Laut World Economic Forum wird der Gender Pay Gap erst in 216 Jahren geschlossen sein. Woran liegt es, dass Frauen nicht nur im MINT-Bereich für die gleiche Arbeit durchschnittlich 21 % weniger verdienen als Männer? Welche strukturellen Probleme gibt es und was hat es mit der Theorie der „Child Penalty“ auf sich?
Gender Pay Gap – Definition und Berechnung
Absolute Bruttostundenverdienste werden zueinander ins Verhältnis gesetzt, ohne strukturelle Unterschiede einzubeziehen.
Arbeitsmarktrelevante Eigenschaften wie Qualifikation und Verdienstniveau werden zusätzlich einbezogen.
Wo in Europa ist der Gender Pay Gap im MINT-Sektor am geringsten?
In 41 OECD-Ländern wurden die Gehälter in der Tech-Branche miteinander verglichen. In Lettland und Portugal verdienen Frauen in Tech-Berufen proportional am meisten. Vor allem in Osteuropa sind die geschlechtsspezifischen Lohngefälle am größten – bis zu 30 % und mehr.
Wie schneidet Deutschland ab?
Der branchenübergreifende Gender Pay Gap beträgt in Deutschland durchschnittlich 18,87 %. Im Vergleich zu anderen Berufsfeldern verdienen Frauen in Tech noch einmal 6,13 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle ist mit 25 % besonders groß.
Betrachtet man die regionale Verteilung des Frauenanteils in MINT-Berufen, fallen vor allem zwischen Ost- und Westdeutschland große Unterschiede auf. Diese sind u. a. durch die unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, bspw. in Großstädten, bedingt. Die folgende Karte zeigt die Frauenanteile in MINT-Berufen und -Studiengängen in Deutschland.
Spitzenreiter hinsichtlich Frauenanteil in MINT-Berufen in Westdeutschland ist Hamburg mit 18,80 %.
Spitzenreiter bei den MINT-Absolventinnen ist NRW mit 23 %.
Das Saarland hat mit 12,50 % den geringsten Frauenanteil in MINT-Berufen.
Mit 21,30 % hat Berlin deutschlandweit den größten Frauenanteil in MINT-Berufen.
31 % der MINT-Absolventinnen kommen aus Süddeutschland.
Wir sind jung und wählen MINT! Seit 2008 setzt sich der Trend des steigenden Akademikeranteils in der Bevölkerung stetig fort. Dabei nähert sich der fächerübergreifende Frauenanteil unter den Erstsemestern dem der männlichen Studierenden an. Besonders in den Ingenieurswissenschaften fällt auf, dass erstmalig über 25 % Studienanfängerinnen in den Vorlesungen sitzen.
Geschlechterverteilung
unter den Erstsemestern
49,50 % der insgesamt 878.163 Erstsemesterstudenten in Deutschland sind weiblich. (2017)
351.367 der Studienanfänger belegen MINT-Fächer.
Ein Drittel der MINT-Studenten sind Frauen (115.134). Gegenüber 2008 ist das ein Plus von 93 %.
Die größten Anstiege des Frauenanteils seit 2008: Elektrotechnik von 9,70 % auf 16,30 % und Informatik von 18,60 % auf 24,80 %.
Ungleiche Löhne in der IT und Technik
Eine aktuelle Auswertung eines Gehälter-Vergleichsportals hat 5.525 Daten von Männern und Frauen (ohne Personalverantwortung) untersucht, um die geschlechtsspezifische unbereinigte Entgeltlücke in der IT und Technik festzustellen – sie ist somit nur als Richtwert zu verstehen. Der bereinigte Wert für die IT- und Technikbranche lag 2017 bei 5,20 %.
Child Penalty – Die Wurzel des Problems?
Eine wichtige Ursache sind die familienbedingten Erwerbsunterbrechungen, die fast nur Frauen betreffen. Auch lange Zeiten von Teilzeit-Erwerbstätigkeit haben negative Auswirkungen auf die Stundenlöhne“
Dr. Katharina Wrohlich (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)
Beide Faktoren, so Dr. Wrohlich, vermindern dazu die Möglichkeiten von Frauen, Führungspositionen zu erlangen, was ein weiterer Grund für die Entstehung des Gender Pay Gaps ist. Es werden nicht Frauen benachteiligt, weil sie Frauen sind, sondern weil Frauen Mütter sind (oder werden können).
Die „Child Penalty“ gilt als bedeutende Ursache des Pay Gaps, so auch die Kernaussage des Reports „Children and Gender Inequality: Evidence from Denmark“. Kinderlose Frauen und Männer – egal, ob mit oder ohne Kinder – klettern die Karriereleiter nach oben. Eine Frau ohne Kind verdient lediglich 4 % weniger als ein Mann, eine Mutter dagegen nur einen Bruchteil dessen.
Trotz des Anspruchs auf Väterzeit wird von Müttern noch immer erwartet, dass sie den Löwenanteil der Erziehungsarbeit leisten. Mutterschaft ist der Grund für enorme Gehaltseinbußen, von denen sich eine Frau, wenn sie in ihren Job zurückkehrt, nur schwer erholen kann.
Wie gestaltet sich Teilzeitbeschäftigung in
MINT-Berufen?
Immer mehr Frauen sind erwerbstätig und suchen nach Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Dadurch steigt der Anteil von Teilzeitbeschäftigung stetig. 2017 waren 25 % aller Stellen in Deutschland in Teilzeit besetzt, in MINT-Berufen lag der Anteil mit nur 8 % deutlich niedriger. Die Anteile von Teilzeitarbeit und weiblichen Arbeitnehmern korrelieren dabei miteinander: Ganze 44,50 % der Frauen arbeiteten 2017 in Teilzeit; der Wert für den MINT-Bereich lag mit 28 % deutlich darunter. Zum Vergleich: Bei Männern lag er bei nur 5 %.
Frauen in allen Berufen
Frauen in MINT-Berufen
Rückläufige Arbeitslosenzahlen im MINT-Sektor
Seit 2009 hat sich der Arbeitsmarkt für MINT-Berufe erholt und die Arbeitslosenquote ist seither tendenziell rückläufig. Betrachtet man die längerfristige Entwicklung, wird zusätzlich deutlich, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt stark von der konjunkturellen Entwicklung der Bundesrepublik abhängt.
Arbeitslose mit MINT-Berufen nach Anforderungsniveaus Jahresdurchschnitt, 2008 bis 2017
Die Situation für MINT-Spezialistinnen und -Expertinnen hat sich seit 2008 deutlich verbessert. 2017 waren 39.000 Frauen arbeitslos gemeldet. Verglichen zu 2008 ist der Wert überproportional gesunken – um 18.000 bzw. fast ein Drittel.
Wege zum Umbruch
Fakten zu vier strukturellen Problemen, gegen die man vorgehen muss, um dem Gender Pay Gap und vor allem der „Child Penalty“ entgegenzuwirken.
Integration am Arbeitsplatz-
Individuelle Arbeitszeiten
Die Wahrscheinlichkeit des Wiedereinstiegs nach der Geburt steigt, laut Hans-Böckler-Stiftung bei flexiblen Arbeitszeiten um 60 %.
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Home-Office
25 % aller berufstätigen Eltern in Deutschland wünschen sich, langfristig von zu Hause aus zu arbeiten, aber nur 6 % haben die Möglichkeit dazu. Im Vergleich zu den Skandinaviern (27,50 %) sind die Deutschen damit beinahe EU-Schlusslicht.
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Gleichbehandlung statt Benachteiligung
56,40 % der Frauen haben den Eindruck, dass Kinder ihre Karrierechancen negativ beeinflussen. Rund 74 % der Frauen mussten die Umstände ihrer Arbeit nach der Geburt ändern, um Beruf und Familie zu vereinbaren.
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Kinderbetreuung
66 % der Frauen betreuen ihre Kinder allein neben dem Beruf. 75 % wünschen sich in diesem Punkt mehr Unterstützung, sowohl in puncto Arbeitsteilung im Familienleben als auch auf struktureller Ebene. 2017 gab es lediglich 642 Betriebskitas in Deutschland.
Gute Chancen für Frauen, sich auf dem technischen Arbeitsmarkt zu etablieren, eröffnet in der Zukunft auch die Digitalisierung. Dank ihr wird orts- und zeitunabhängiges Arbeiten immer häufiger zum Normalfall. Der Gender Time Gap, die Differenz der durchschnittlichen Arbeitszeit von Frauen und Männern, kann damit ebenfalls reduziert werden. Die digitale Transformation der Arbeitswelt hat bereits begonnen und wird in Zukunft neue Arbeitszeitmodelle sowie High-Profile-Stellen hervorbringen, die nur darauf warten, von Frauen ausgeübt zu werden.
Quellen: https://goo.gl/5MuYkb
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