Neue Schutzsysteme

Neue Schutzsysteme schießen aus dem Boden: doch nach wie vor dominieren traditionelle Lösungen den Markt

 

von Heiko Luckhaupt, Category Marketing Manager, Automation & Control,

RS Components

Elektronische Steuertechniken erhalten immer mehr Einzug in die Automatisierungsindustrie, weshalb der Bedarf an Vorrichtungen zum Schutz vor elektrischen Störungen stets zunimmt. Die Komponenten und Subsysteme hierfür haben heutzutage oftmals nur wenig mit den einfachen Sicherungen und Schutzschaltern vergangener Tage gemein. Da Automatisierungssysteme in immer mehr Industrien Bereichen Einzug finden, werden die Anforderungen an diese Systeme zunehmend komplexer und ausgereifter. Die Folge: Die Vielfalt an verschiedenen Schutzfunktionen nimmt immer weiter zu.

Aus diesem Grund entwickelten viele Hersteller ein umfassendes Angebot verschiedenster Schutzprodukte, die mühelos zu benutzen und zu installieren sind, und sich sowohl für Schaltschrankbauer, als auch für das Bedien- und Instandhaltungspersonal der jeweiligen Anlagen eignen. Diese Produkte sind oftmals modular aufgebaut bzw. konfigurierbar, und räumen somit dem Bedarf aus, ein breites Sortiment sehr ähnlicher Komponenten im Lager zu halten. Wie alle elektronischen Geräte werden auch diese modernen Lösungen stets kleiner, was sich bei Automatisierungssystemen mit relativ kleinem Panel als durchaus vorteilhaft erweisen kann.

In manchen Fällen wurden nicht wiederverwendbare Sicherungen durch rücksetzbare Lösungen ersetzt: ebenso gesteigert werden konnte die Produktivität durch die Entwicklung von Komponenten mit weniger Fehlauslösungen, die mit einer entsprechenden Anzeige einen aktiven Beitrag zur Fehlersuche leisten können. Ebenso eine Rolle spielte das Konzept der Eigensicherheit, führte es doch zur Entwicklung verschiedenster Techniken zur Abwehr von Problemen in grundsätzlich gefährlichen Bereichen.

In Spezialgebieten (z. B. Motorsteuerung) erarbeiteten die Hersteller die Möglichkeit, Überlastschutz mühelos mit bereits vorhandenen Schützen und Steuerprodukten zu kombinieren.

Abbildung 1:  ABB S200 Miniatur-Schutzschalter

Ungeachtet dieser rasanten Entwicklung sind die grundsätzlichen Anforderungen größtenteils noch immer dieselben wie vor einigen Jahren: Personen sind vor Verletzungen zu schützen, andere Komponenten des Systems sind vor physischen oder elektrischen Beschädigungen zu bewahren, und die Brandgefahr muss beseitigt werden. Daher sollte es kaum überraschend sein, dass ein Großteil des Markts für Schutzschaltungen noch immer aus herkömmlichen Sicherungen und Schutzschaltern für Anwendungen im Bereich Leistungssteuerung und Versorgungssubsystem besteht.

Kurz gesagt: Es ist sehr schwer, ein System zu finden, das keinerlei Sicherung enthält.

Die Beschaffenheit dieser Komponenten führt dazu, dass in diesem Segment Supply-Chain Themen (Preis, Verfügbarkeit, Vorlaufzeit etc.) von größter Bedeutung sind.

Mit einem führenden Vertriebsunternehmen (z. B. RS Components) erhalten Ingenieure Zugang zu einem umfassenden Angebot verschiedenster schützender Produkte, darunter MCBs, RCDs, RCBOs,und Produkte zur Erkennung von Erdungsfehlern - alles aus einer Hand. Das Unternehmen bietet mehr als 1100 Schutzschalter, dazu Sicherungen und Halter gemäß BS88 / IEC 60269 sowie ähnliche Komponenten, wie Trennschalter, Sicherheitsschütze und Steuerprodukte. Um jeden erdenklichen Anwendungsbereich abdecken zu können, führt RS Components Produkte zahlreicher führender Hersteller von Steuergeräten.

Normensicherheit als grundlegende Anforderung

In einem Markt wie diesem besteht eine grundlegende Anforderung an Ingenieure daraus, die jeweils relevanten Industriestandards zu kennen. So zählt zum Beispiel die aus Großbritannien stammende Norm BS88 (entspr. IEC 60269 als internationaler Standard für Niederspannungssicherungen) für Kartuschen-Sicherungen zur Verwendung bei 'Niederspannung' (bis zu 1 kV Wechselstrom und 1500 V Gleichstrom) mit Sicherheit zu den ältesten Standards, liegen ihre Ursprünge bereits nahezu 100 Jahre zurück.

Die zweite wichtigste Gruppe weltweiter Standards in diesem Bereich lautet IEC 60947: Sie deckt eine Vielzahl verschiedenster Bauteile zur Verwendung bei derselben niedrigen Spannung im industriellen Bereich ab.

•           IEC 60947-2 bezieht sich auf Leistungsschalter, darunter Kompaktleistungsschalter (MCCBs), FI-Schalter (RCDs) und offene Leistungsschalter (ACBs), und ist die allgemein wichtigste Norm im Bereich von Schutzschaltungen. Sie enthält besondere Anforderungen an vollständig gesicherte Leistungsschalter, sowie an Geräte für Erdschluss und elektronischen Überstromschutz.

•           IEC 60947-3 deckt Schalter, Trennschalter, Last-Trennschalter und – erneut besonders wichtig für Schutzschaltungen – gesicherte Kombi-Einheiten ab.

•           IEC 60947-4 bezieht sich auf Schütze und Anlasser. Sie besteht aus drei Teilen und deckt elektromechanische Komponenten, halbleiterbasierte Lösungen und Apparate für nichtmotorische Lasten ab; darüber hinaus enthält sie die Anforderungen an Leistungsschalter als Direktstarter.

•           IEC 60947-5, -6 und -7 sind weniger relevant in diesem Zusammenhang, da sie sich mehr um die Sicherheit von Maschinen, sowie um Produkte wie Näherungsschalter und Anschlussklemmen drehen.

MCBs weiterhin dominierend

Wie bereits erwähnt dominieren Sicherungen und Schutzschalter nach wie vor den Markt für Schutzvorrichtungen, gemessen an verkauften Einheiten. Weit verbreitete Lösungen im Bereich Automatisierung beinhalten die Produktreihen S200 und S500/800 von ABB.

Die S2xx Reihe bietet fest etablierte, strombegrenzende und auf einer DIN-Schiene montierte Miniaturüberlastschalter (MCB), die in einer Vielzahl verschiedener Kapazitäten erhältlich sind. Wie bei vielen anderen MCB Produkten erzählt die numerische Klassifizierung jedoch nicht die ganze Geschichte. Die S2xx Reihe ist erhältlich mit fünf verschiedenen Auslösecharakteristiken, für den Gebrauch entsprechend der jeweiligen Anwendung.

Die häufigste 'Standard-Charakteristik' ist die 'C- Charakteristik', die für allgemeine Licht- und Stromanwendungen verwendet wird. Die 'D-' und 'K- Charakteristiken' hingegen werden meistens für Anlasser und Schutzvorrichtungen von Transformatoren verwendet, wo hohe Einschaltströme und induktive Ladungen auftreten können. Die 'B- Charakteristik' verfügt über eine rasches Auslösen, entwickelt zum Schutz von Kabeln und Steuerkreisen bei niedrigen Kurzschlusslevels. Zu guter Letzt kann die 'Z- Charakteristik' mit unmittelbarem Auslösen zwischen zwei- und dreifachem Nennstrom verwendet werden, um sehr empfindliche Geräte zu schützen

Abbildung 2: Standard-Auslösecharakteristiken der S200 Reihe.

Geräte der technisch ausgefeilteren Reihe S800 bieten zahlreiche Hochleistungsfunktionen, mit denen sie sich besonders gut für die Verwendung zum Schutz diverser Baugruppen eignen. So ist zum Beispiel das S800-SCL-SR ein selbstrückstellendes strombegrenzendes Modul, entwickelt, um den Stromfluss bei einem Kurzschluss zu unterbinden, bis die nachgeschaltete Schutzvorrichtung auslöst.

Die Siemens VL Reihe ist ein gutes Beispiel für die Tendenz zu einem flexiblen, modularen Ansatz bei der Spezifikation von MCBs, mit dem Ziel, erforderliche Lagerbestände und Stillstandzeiten zu verringern. Erhältlich sind sieben verschiedene Baugrößen, die mit einer Auswahl an drei untereinander austauschbaren Auslöseeinheiten bestückt werden können: Thermomagnetisch, elektronisch oder elektronisch mit LCD.

Für die Einhaltung der Vielzahl verschiedenster Anforderungen hinsichtlich des Anschließens, Montierens und Betreibens der jeweiligen Komponenten bietet Siemens eine ganze Reihe externer Zubehörartikel. Der modulare Aufbau erlaubt ebenso das Upgraden bzw. erneute Klassifizieren der Anlagen vor Ort.

Abbildung 3: Siemens MCBs der VL Reihe

Ebenso wie ABB bietet Schneider / Merlin Gerin ein umfassendes Sortiment an MCBs mit einer Vielzahl verschiedener Auslösekurven an. Teile des Multi 9 Systems des Unternehmens, die Schutzschalter C60 und C120, können mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet werden, darunter Nebenschlussschaltung bzw. Unter-/Überspannungsauslösung. Darüber hinaus kann ein Vigi-Modul hinzugefügt werden, das zum Schutz gegen Isolierfehler ein Fehlerstromrelais und einen Ringkern in einem Gehäuse beinhaltet. Erhältlich ist das Modul mit unmittelbarem oder selektivem Auslöseverhalten; dazu ist es vor Fehlalarmen aufgrund transienter Überspannung durch Blitzschläge oder Schaltanlagen in seiner Nähe geschützt.

Abbildung 4: Das Merlin Gerin Vigi Modul

Motorsteuerung als Sonderfall

Störungen in Anwendungen der Motorsteuerung können das Ergebnis elektrischer und mechanischer Probleme sein. Hierzu zählen Kurzschlussbedingungen, ein festgesetztes Rotor- oder Wellenlager aufgrund einer geringen Überlast, sowie ungewöhnliche Temperaturanstiege oder fehlerhafte Belüftung. Aus diesem Grund ist in diesen Situationen normalerweise eine spezielle Schutzvorrichtung in Form eines Überlastrelais in das Motorsteuersystem selbst integriert.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Schneider TeSys D-line Reihe. Schütze sind sowohl in Ausführungen für Gleichstrom, als auch für Wechselstrom verfügbar und sind mit 45 mm bzw. 55 mm sehr kompakt (40 A bis 65 A). Analog zu Anlassern können sie zur Stromversorgung von Steuer- und Signalgeräten verwendet werden. Ein Überlastrelais wie das Tesys LR97D kann direkt unterhalb des Schützes montiert werden, um eine ganze Reihe an Schutzfunktionen ausführen zu können. Hierzu zählen der Schutz vor Überstrom aufgrund einer Überlast oder einer mechanischen Störung, sowie das Anlassen und der dauerhafte Betrieb einer Drehmomentüberwachung, und der Schutz vor zu hohem Drehmoment.

Das LR97D bietet darüber hinaus besonderen Schutz vor versperrten Rotoren und Phasenausfallbedingungen. Der Strom-Schwellenwert kann vom Bediener mit separaten Zeit-Einstellungen für Anlassvorgänge und kontinuierlichen Betrieb eingestellt werden, während das Gerät eine Diagnosefunktion über zwei LED-Anzeigen bietet.

Abbildung 5: Schneider TeSys-D Motoranlasser

Umgang mit Gefahrbereichen

Zu guter Letzt ist es nicht besonders hilfreich, dass der Umgang mit Defekten in gefährlichen Bereichen besondere Aufmerksamkeit erfordert, wo Funkenbildung oder Überhitzung schwerwiegende Folgen haben kann. Besondere Beachtung erfordert die Tatsache, dass Signal- und Stromleitungen oftmals gefährliche und ungefährliche Bereiche passieren müssen, ohne dabei ein Risiko zu erzeugen.

 

Abbildung 6:  Die MTL7700 Zenerbarriere

 

 

Die Antwort besteht in diesem Fall aus der Installation einer Sicherheitsbarriere, die jegliche überschüssige Energie nach Masse ablenken kann. Die MTL700 und die kürzlich angekündigte MTL7700 Barriere sind hierfür klassische Beispiele und verwenden eine Kombination aus Zener-Dioden, Widerständen und Sicherungen, um Gefahrenbereiche abzusichern.

Erhältlich mit einem bzw. zwei Kanälen, werden diese Geräte in Reihe mit Signalübertragungsleitungen verwendet und geben elektrische Signale in beide Richtungen ohne Nebenschluss weiter; jedoch wird der Energieübertrag auf ein Niveau abgesenkt, das keinerlei explosionsgefährdete Bereiche entzünden kann. Sie ermöglichen die simple und kostengünstige Ausführung einer Vielzahl an Mess- und Steuervorgängen mit eigensicheren Techniken.

Fazit

Entwickler haben mehr Auswahl als jemals zuvor, elektrischen Schutz in Prozessteuerungen und Automatisierungsanlagen zu integrieren. Diese Techniken reichen von der Leistungssteuerung und Versorgungssubsystemen bis hin zu Daten- und Signalpfaden.

Kein anderer Bereich bietet eine derart hohe Vielfalt an Produkten von sehr einfachen bis hin zu ausgesprochen ausgefeilten Lösungen. Der Grund liegt auf der Hand: Obwohl oftmals vernachlässigt, bieten diese Komponenten sowohl eine erste Schutzlinie, als auch eine potenzielle Quelle von Stillstandzeiten. Gleichwohl manchmal vernachlässigt, wäre es für Ingenieure äußerst hilfreich, die jeweiligen Optionen zu verstehen und die Schutzstrategie mit Sorgfalt zu wählen.